+@lilypond
+\relative c {
+ \clef bass
+ \once \override Slur #'positions = #'(1.5 . 1)
+ e8[( f] g[ a b d,)] r4
+ \once \override Slur #'positions = #'(2 . 3)
+ e8[( f] g[ a b d,)] r4
+ e8[( f] g[ a b d,)] r4
+}
+@end lilypond
+
+Es gibt wenige Bücher über die Kunst des Notensatzes. Leider
+haben sie nur Daumenregeln und einige Beispiele zu bieten. Solche
+Regeln können sehr informativ sein, aber sie sind weit entfernt
+von einem Algorithmus, den wir in unser Programm einbauen könnten.
+Indem man die Anweisungen der Literatur anwendet, kommt man zu
+Algorithmen mit sehr vielen manuellen Ausnahmen. Alle die möglichen
+Fälle zu analysieren stellt sehr viel Arbeit dar und meistens
+werden dennoch nicht alle Fälle vollständig abgedeckt:
+
+@quotation
+@iftex
+@sourceimage{ross-beam-scan,7cm,,}
+@end iftex
+@ifnottex
+@sourceimage{ross-beam-scan,,,.jpg}
+@end ifnottex
+@end quotation
+
+(Bildquelle: Ted Ross, @emph{The Art of Music Engraving})
+
+Anstatt zu versuchen, für jedes mögliche Szenario eine passende
+Layoutregel zu definieren, müssen wir nur die Regeln genau genug
+beschreiben, sodass LilyPond die Gefälligkeit von mehreren
+Alternativen selber einschätzen kann. Dann errechnen wir für jede
+mögliche Konfiguration eine Hässlichkeits-Rangliste und wir wählen
+die Konfiguration aus, die am wenigsten hässlich ist.
+
+Zum Beispiel hier drei mögliche Konfiguration eines Legatobogens,
+und LilyPond hat jeder Konfiguration @qq{Hässlichkeitspunkte}
+verliehen. Das erste Beispiel erhält 15.39 Punkte, weil eine der
+Noten angeschnitten wird:
+
+@lilypond
+\relative c {
+ \clef bass
+ \once \override Slur #'positions = #'(1.5 . 1)
+ e8[(_"15.39" f] g[ a b d,)] r4
+}
+@end lilypond
+
+Das zweite Beispiel ist schöner, aber der Bogen beginnt weder noch
+endet er an den Notenköpfen. Hier werden 1.71 Punkte auf der linken
+und 9.37 Punkte auf der rechten Seite verliehen, plus weiteren
+2 Punkten, weil der Bogen aufsteigt, während die Melodie absteigt.
+Insgesamt also 13.08 Punkte:
+
+@lilypond
+\relative c {
+ \clef bass
+ \once \override Slur #'positions = #'(2 . 3)
+ e8[(_"13.08" f] g[ a b d,)] r4
+}
+@end lilypond
+
+Der letzte Bogen erhält 10.04 Punkte für die Lücke rechts und
+2 Punkte für die Neigung nach oben, aber er ist die schönste
+der drei Varianten, sodass LilyPond ihn auswählt:
+
+@lilypond
+\relative c {
+ \clef bass
+ e8[(_"12.04" f] g[ a b d,)] r4
+}
+@end lilypond
+
+Diese Technik ist sehr allgemein und wird benutzt, um optimale
+Entscheidungen für Bögenkonfigurationen, Bindebögen und Punkten
+in Akkorden, Zeilenumbrüche und Seitenumbrüche zu erhalten. Die
+Ergebnisse dieser Entscheidungen können durch einen Vergleich mit
+handgestochenen Noten eingeschätzt werden.
+
+
+@node Verbessern durch Benchmarking
+@unnumberedsubsec Verbessern durch Benchmarking
+@translationof Improvement by benchmarking
+
+Die Ausgabe von LilyPond hat sich schrittweise mit der Zeit
+verbessert, und sie verbessert sich weiter, indem sie immer wieder
+mit handgestochenen Noten verglichen wird.
+
+Hier als Beispiel eine Zeile eines Benchmark-Stückes aus einer
+handgestochenen Notenedition (Bärenreiter BA320):
+
+@iftex
+@sourceimage{baer-sarabande-hires,16cm,,}
+@end iftex
+@ifnottex
+@sourceimage{baer-sarabande,,,png}
+@end ifnottex
+
+@noindent
+und die gleiche Zeile als Satz einer sehr alten LilyPond-Version
+(Version 1.4, Mai 2001):
+
+@iftex
+@sourceimage{pdf/lily14-sarabande,16cm,,}
+@end iftex
+@ifnottex
+@sourceimage{lily14-sarabande,,,png}
+@end ifnottex
+
+@noindent
+Die Ausgabe von LilyPond 1.4 ist auf jeden Fall leserlich, aber
+ein ausführlicher Vergleich mit der Vorlage zeigt viele Fehler in
+den Formatierungsdetails:
+
+@iftex
+@sourceimage{lily14-sarabande-annotated-hires,16cm,,}
+@end iftex
+@ifnottex
+@sourceimage{lily14-sarabande-annotated,,,png}
+@end ifnottex
+
+@itemize @bullet
+@item vor der Taktangabe ist nicht genug Platz
+@item die Hälse der bebalkten Noten sind zu lang
+@item der zweite und vierte Takt sind zu schmal
+@item der Bogen sieht ungeschickt aus
+@item das Triller-Symbol ist zu groß
+@item die Hälse sind zu dünn
+@end itemize
+
+@noindent
+(Es gibt auch zwei fehlende Notenköpfe, verschiedene editorische
+Anweisungen, die fehler und eine falsche Tonhöhe!)
+
+Indem die Layoutregeln und das Design der Schriftarten angepasst
+wurde, hat sich die Ausgabe sehr starkt verbessert. Vergleichen
+Sie das gleiche Referenzbeispiel und die Ausgabe der aktuellen
+LilyPond-Version (@version{}):
+
+@iftex
+@sourceimage{baer-sarabande-hires,16cm,,}
+@end iftex
+@ifnottex
+@sourceimage{baer-sarabande,,,png}
+@end ifnottex
+
+@lilypond[staffsize=17.5,line-width=15.9\cm]
+\relative c {
+ \clef "bass"
+ \key d \minor
+ \time 3/4
+ \mergeDifferentlyDottedOn
+ << {\slurDashed d8.-\flageolet( e16) e4.-\trill( d16 e)}
+ \\ {d4_2 a2}
+ >>
+ \slurDashed
+ <f' a, d,>4. e8( d c)
+ \slurSolid
+ bes g' f e16( f g_1 a_2 bes_3 d,_2)
+ \slurDashed
+ cis4.-\trill b8_3( a g)
+ << {\slurDashed d'8.( e16) e4.-\trill( d16 e)}
+ \\ {<f, a>4 a2}
+ >>
+}
+@end lilypond
+
+@noindent
+Die jetzige Ausgabe ist kein Klon der Referenzedition, aber sie ist
+sehr viel näher an einer Publikationsqualität.
+
+
+@node Alles richtig machen
+@unnumberedsubsec Alles richtig machen
+@translationof Getting things right
+
+Wir können auch die Fähigkeiten von LilyPond, Notensatzentscheidungen
+alleine zu fällen, messen, indem wir die Ausgabe von LilyPond mit
+der Ausgabe eines kommerziellen Notensatzprogramms vergleichen.
+In diesem Fall haben wir Finale 2008 genommen, eines der beliebtesten
+Notensatzprogramme, insbesondere in Nordamerika. Sibelius ist
+Finales hauptsächlicher Gegenspieler, offensichtlich vor allem in
+Europa verbreitet.
+
+In unserem Vergleich haben wir uns für die Fuge in G-Moll aus
+dem Wohltemperierten Clavier 1, BWV 861 von J. S. Bach entschieden,
+mit dem Hauptthema:
+
+@lilypond
+\relative c' {
+ \key g \minor
+ \clef "treble_8"
+ r8 d ees g, fis4 g
+ r8 a16 bes c8 bes16 a bes8
+}
+@end lilypond
+
+@noindent
+In unserem Vergleich setzten wir die letzten sieben Takte des
+Stückes (28--34) in Finale und LilyPond. Das ist der Punkt, an
+der das Thema als dreistimmige Engführung in den Schlussabschnitt
+überleitet. In der Finale-Version haben wir der Versuchung
+widerstanden, jedwede Anpassungen abweichend vom Standard vorzunehemn,
+weil wir zeigen wollen, welche Dinge von den beiden Programmen
+ohne Hilfeleistung richtig gemacht werden.
+
+Viele der Unterschiede zwischen den beiden Sätzen finden sich
+in den Takten 28--29, hier zuerst in Finales Version, dann in der
+Version von LilyPond:
+
+@iftex
+@sourceimage{pdf/bwv861mm28-29,14cm,,}
+@end iftex
+@ifnottex
+@sourceimage{bwv861mm28-29,,,png}
+@end ifnottex
+
+@lilypond[staffsize=19.5,line-width=14\cm]
+global = {\key g \minor}
+
+partI = \relative c' {
+ \voiceOne
+ fis8 d' ees g, fis4 g
+ r8 a16 bes c8 bes16 a d8 r r4
+}
+
+partII = \relative c' {
+ \voiceTwo
+ d4 r4 r8 d'16 c bes8 c16 d
+ ees8 d c ees a, r r4
+}
+partIII = \relative c' {
+ \voiceOne
+ r2 r8 d ees g, fis4 g r8 a16 bes c8 bes16 a
+}
+partIV = \relative c {
+ \voiceTwo
+ d4 r r2
+ r8 d ees g, fis4 a
+}
+
+\score {
+ <<
+ % \set Score.barNumberVisibility = #all-bar-numbers-visible
+ % required in 2.13
+ \set Score.currentBarNumber = #28
+ \bar ""
+ \new PianoStaff <<
+ \new Staff = "RH" <<
+ \global
+ \new Voice = "voiceI" { \partI }
+ \new Voice = "voiceII" { \partII }
+ >>
+
+ \new Staff = "LH" <<
+ \clef "bass"
+ \global
+ \new Voice = "voiceIII" { \partIII }
+ \new Voice = "voiceIV" { \partIV }
+ >>
+ >>
+ >>
+ \layout {
+ \context {
+ \Staff
+ \remove "Time_signature_engraver"
+ }
+ \context {
+ \PianoStaff
+ \override StaffGrouper #'between-staff-spacing #'padding = #1
+ }
+ }
+}
+@end lilypond
+
+Einige der Mängel des nicht editierten Finale-Satzes beinhalten:
+
+@itemize @bullet
+@item Die meisten Balken sind zu weit vom Notensystem entfernt.
+Ein Balken, der zum Zentrum des Systems zeigt, sollte etwa die
+Länge einer Oktave haben, aber Notensetzer verkürzen die Länge,
+wenn der Balken in polyphonen Situationen aus dem System
+herauszeigt. Die Bebalkung von Finale kann einfach mit dem
+Patterson Beams-Plugin verbessert werden, aber wir haben diesen
+Schritt für dieses Beispiel ausgelassen.
+@item Finale passt die Position von ineinander greifenden Notenköpfen
+nicht an, sodass die Noten sehr schwer lesbar werden, wenn
+die untere und obere Stimme zeitweise ausgetauscht werden:
+
+@lilypond
+collide = \once \override NoteColumn #'force-hshift = #0
+\new Score <<
+ \new Voice = "sample" \relative c''{
+ \key g \minor
+ <<
+ {\voiceOne g4 \collide g4}
+ \new Voice {\voiceTwo bes \collide bes}
+ >>
+ }
+ \new Lyrics \lyricsto "sample" \lyricmode { "good " " bad" }
+>>
+@end lilypond
+
+@item Finale positioniert alle Pausen an einer festen Position auf
+dem System. Der Benutzer kann sie anpassen, wie er es richtig
+findet, aber das Programm unternimmt keinen Versuch, den Inhalt
+der anderen Stimme mit einzubeziehen. Durch einen Glücksfall
+kommen keine wirklichen Kollisionen zwischen Noten und Pausen
+in diesem Beispiel vor, aber das liegt mehr an der Position der
+Noten als an der der Pausen. Anders gesagt: Bach verdient mehr
+Aufmerksamkeit um vollständige Kollisionen zu vermeiden als
+Finale ihm gönnt.
+
+@end itemize
+
+Dieses Beispiel soll nicht suggerieren, dass man mit Finale nicht
+schöne Ausgabe erstellen könnte. Das Programm ist dazu fähig,
+wenn ein erfahrener Benutzer genug Zeit und Fähigkeit mitbringt.
+Einer der fundamentalen Unterschiede zwischen LilyPond und kommerziellen
+Notensatzprogrammen ist, dass LilyPond versucht, den Aufwand an
+menschlicher Intervention auf ein absolutes Minimum zu reduzieren,
+während andere Programme versuchen, ein attraktives Programmfenster
+zu bieten, in dem die Anpassungen vorgenommen werden können.
+
+Z. 859
+Einen besonders hervorstechenden Mangel in dem Finale-Beispiel
+ist ein fehlendes b-Vorzeichen in Takt 33:
+
+@quotation
+@iftex
+@sourceimage{pdf/bwv861mm33-34-annotate,7.93cm,,}
+@end iftex
+@ifnottex
+@sourceimage{bwv861mm33-34-annotate,,,png}
+@end ifnottex
+@end quotation
+
+@noindent
+Das b-Symbol wird benötigt, um das Auflösungzeichen im selben
+Takt rückgängig zu machen, aber Finale lässt es aus, weil es in
+einer anderen Stimme vorkommt. Der Benutzer muss nicht nur daran
+denken, ein Balken-Plugin zu starten und die Notenköpfe und Pausen
+neu anzuordnen, er muss auch jeden Takt prüfen, ob Versetzungszeichen
+aus anderen Stimmen korrigiert werden müssen, damit nicht ein
+Notensatzfehler die Probe unnötig unterbricht.
+
+Wenn Sie diese Beispiel noch detaillierter betrachten wollen,
+können Sie den vollen siebentaktigen Ausschnitt am Ende dieses
+Aufsatzes als Notensatz von Finale und LilyPond sowie in vier
+publizierten Editionen finden. Nähere Betrachtung zeigt, dass
+es einige akzeptable Variationen zwischen den handgestochenen
+Beispielen gibt. Auch die LilyPond-Ausgabe hat noch ihre
+Fehler: sie ist beispielsweise etwas zu aggressiv bei der Verkürzung
+einiger Hälse -- hier ist also noch Raum für weitere Entwicklung
+und Feineinstellung.
+
+Natürlich hängt Typographie vom menschlichen Urteil der Erscheinung
+ab, sodass Menschen nicht vollständig ersetzt werden können. Viel
+der eintönigen Arbeit kann jedoch automatisiert werden. Wenn
+LilyPond die meisten üblichen Situationen richtig löst, ist das
+schon eine große Verbesserung gegenüber existierender Software.
+Im Laufe der Jahre wir das Programm immer besser und macht mehr
+und mehr Sachen automatisch, sodass manuelles Eingreifen immer
+seltener wird. Wo manuelle Anpassungen benötigt werden,
+wurde die Struktur von LilyPond mit Flexibilität im Hinterkopf
+geplant.
+
+
+@node Flexible Architektur
+@unnumberedsubsec Flexible Architektur
+@translationof Flexible architecture